Das Wort hat
ein Literaturnobelpreisträger

Irgendwo - aber nicht gerade an einem der schönsten Punkte - im Sandsteinländchen sollte man eine Schandsäule für den Mann errichten, der den schrecklichen Namen: "Die Sächsische Schweiz" erfunden hat. Sicher ist es, dass nichts der wundervollen Felsengegend mehr geschadet hat. Jeder Reisende kommt hierher mit einer Erinnerung oder einem Phantasiegebilde von der Schweiz als Maßstab, vergleicht und verwirft und brüstet sich damit, dass er etwas weit Großartigeres erwartet habe, was das arme Land ja gar nicht von ihm verlangt hat.
Wenn man aber ohne Ansprüche hierher kommt und das Land nimmt, wie es ist, wenn man vor allem es nicht mit Touristenschritten durchrast, sondern verweilt, um zu genießen - welcher Reichtum an Naturschönheit öffnet sich dann, welche Gegensätze, die sich zu einer ganz eigentümlichen idyllischen Ländlichkeit vereinen, offenbaren sich! Kahlheit und fruchtbare Fülle, wilde, steile Zerrissenheit und bebaute Flächen sieht man neben- oder übereinander. Aus heller, zitternder Hitze tritt man unmittelbar in feucht-kühlen Schatten hinein. Und wo füllt sich die Lunge mit einer frischeren und würzigeren Luft als der, die über diese Höhen weht, diese Nadelwälder und Felsentäler durchzieht?
Um sich jedoch damit recht vertraut zu machen, muß man in die eigentümliche Natur dieser Gegend eindringen und verstehen, dass man sich nicht in einem Bergland, sondern auf einer Hochebene befindet, die durch Wasserfluten gespalten, durchwühlt und ausgehöhlt worden ist. Dadurch sind die Steinmassen hervorgetreten, bald die Wände der ungeheueren Furchen bildend, bald als Ruinen inmitten dieser stehend, so dass die Felsen weniger den erhöhten Teil als vielmehr die Vertiefungen der Landschaft bilden. Deshalb wundert man sich anfangs, wenn man ein fruchtbares grünes Feld sich über der rauhen Steinmasse einer jähen Felswand runden sieht, gleich einem Samtsattel auf dem Rücken eines Elefanten; und man staunt, wenn man soeben durch wogende Kornfelder gegangen ist und nun eine jener wilden und zerrissenen Felspartien mit einer Unendlichkeit von Zinnen, Türmen und hundert Fuß hohen Kegeln zu seinen Füßen erblickt. Zuerst ärgert man sich fast über solche Gegensätze, aber man gewinnt sie schließlich lieb. Und auf dieser Hochebene, mit einem Felsenland unter sich, sind dann einzelne Berge in die Höhe geschossen, die hauptsächlich dem Lande seine Physiognomie verleihen, eine recht warzige Physiognomie, wenn ich ein so unedles Bild gebrauchen darf. Denn in der Entfernung von einigen Meilen gesehen, ähneln sie vor allem Riesenwarzen, diese Steine, sie mögen nun Königstein, Papststein oder Lilienstein heißen; ja sogar der zweitausend Fuß hohe, unendlich langgestreckte Schneeberg ist nur eine etwas großartigere Abart hiervon. Einzelne, wie die miteinander verbundenen Winterberge, entfernen sich allerdings von dem Typus, aber sie liegen auch dicht an der Grenze, und je weiter man in das Böhmische hineinkommt, desto mehr herrscht eine allgemeinere Bergnatur vor. Eigentlich liegt der Schneeberg in Böhmen, aber die Grenzen zwischen den Bergformen sind nicht so scharf gezogen wie die zwischen den Kaffeesorten; denn dieses Getränk ist in dem ersten böhmischen Dorfe so gut, als ob man schon in Karlsbad wäre, während man in dem letzten sächsischen den berühmten "Bliemchen-Kaffee" trinkt, ein Gebräu, das seinen Namen deshalb erhalten hat, weil man die kleine, auf den Boden der Tasse gemalte Blume durch den Trank hindurch sehen kann.

K.G. 1889

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